Zeit für Harmonie in uns und um uns herum

25.Januar 2021

Die Corona-Zeiten werden immer stürmischer, die Stimmung unter den Menschen aufgrund der länger andauernden und verschärften Maßnahmen gereizter. Ich habe es erst gestern wieder erlebt, dass ein junger Mann am Postschalter eines Supermarkts von einer anderen Kundin angeschrien wurde, weil er seine Maske ihrer Meinung nach falsch trug. „Die Regel gilt für alle“ war Ihr wütend deklamierter Appell. Mir geht es hier nicht um Recht und Unrecht. Nicht um richtig oder falsch. Ich mache mir Gedanken darüber, was die Menschen (also auch mich) bewegt, wenn sie derart emotional reagieren. Was empfinden Sie in so einem Moment? Und noch ursächlicher: was denken sie über sich selbst? Auf welcher Grundlage Ihres Selbst ermächtigen sie sich fremden Personen gegenüber zu so einer Reaktion? Es geht mir also nicht um die Wahrheit –was immer das ist- sondern um Wahrhaftigkeit.

 

Von der Wahrheit zur Wahrhaftigkeit

Aber was bedeutet das genau? Im Unterschied zur Wahrheit ist Wahrhaftigkeit etwas für uns innerlich eindeutig erlebbares. Nach Bollnow richtet sich Wahrhaftigkeit nach innen: „Sie bedeutet die innere Durchsichtigkeit und das freie Einstehen des Menschen für sich selbst.“ Innere Durchsichtigkeit meint, sich selbst gut zu kennen. Und zu erkennen, wie es uns im Moment, in einer bestimmten Situation geht. Sind wir mit uns im Reinen? Was bedrückt, was bewegt uns? Und da kommt für mich die innere Harmonie ins Spiel. Letztendlich ist alle Unzufriedenheit, sind alle  Konflikte Folgen einer inneren Disharmonie. Wir fühlen uns entweder unzufrieden, missachtet, unser Vertrauen missbraucht oder in unserer Freiheit eingeschränkt. Meistens projizieren wir die Ursachen dieser Missempfindungen ins Außen. So hat sich die Kundin in der Einleitung ja über den Mann aufgeregt, weil sich falsch verhalten hat. Ihrer Meinung nach! Montaigne sagte: „Der Mensch erleidet nicht so viel durch das, was ihm als Ereignis zustößt, als durch die Art, wie er dies Geschehen hinnimmt“. Wie steht es denn demgemäß mit unserer inneren Zufriedenheit, unserer Selbstachtung, dem Selbstvertrauen und unserer inneren Freiheit? Max Lüscher nennt sie die vier wichtigen Selbstgefühle, deren Ausgeglichenheit uns innere Harmonie verleiht.

Egozentrik und die anderen

Wird das eine oder andere Selbstgefühl von uns selbst unter-oder überbewertet, entstehen egozentrische Teufelskreise. Wir sind dann nicht mehr darauf fokussiert, die äußere Situation zu objektiv zu bewerten, sondern unsere innere Schieflage auszugleichen. Die Kundin steckte mittendrin in diesem Teufelskreis. Da sie offensichtlich ein Defizit an Selbstachtung, Zufriedenheit oder innerer Freiheit auszugleichen hatte, hat sich für eine Reaktion „entschieden“, die sie aus dieser eigenen Unterbewertung herausholen sollte. Dieser Teil ist ihr bewusst gewesen. Der unterdrückte Teil, den ich in ihrem ebenfalls vorhandenen Bedürfnis nach innerer Freiheit und Selbstachtung vermute, ist unbewusst geblieben. Wir erkennen also im anderen etwas, was uns selbe fehlt. Ein Autoregulationssystem in uns sorgt dann dafür, dass dieser fehlende Teil, dieses  unterbewertete Selbstgefühl kompensiert wird. Eben mit dem Gegenteil. Und das ist dann eine Überbewertung. Wir erheben uns über andere. Der Konflikt ist programmiert. Der spannungsgeladene Gegensatz in uns selbst  ist jetzt im äußeren Konfliktfeld gelandet. Max Lüscher hat diese Kompensation von Unter-und Überbewertung als Egozentrischen Teufelskreis bezeichnet. Ihn zu durchbrechen wäre eine Aufgabe aller, sich oft über ihre Mitmenschen oder Umstände  (die ja größtenteils auch von anderen Menschen produziert werden)ärgern oder sich einfach unwohl fühlen. Es beginnt immer mit einer eigenen Bewertung der Geschehnisse, die dann zu entsprechenden Reaktionen führt.

Mit drei Fragen aus dem Teufelskreis

Wir können mit drei Fragen wirksam

  • Probleme im Dialog mit unseren Freunden, Kollegen, Partnern und Kindern lösen
  • Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden verbessern
  • Menschen offen und ohne Vorurteile begegnen
  • andere,  Ansichten, Perspektiven, Meinungen und Handlungen besser verstehen
  • die Kategorien „falsch“ und „richtig“ als subjektive Bewertung entlarven

Die Fragen lauten:

  1. Welche subjektive Beurteilung der Situation nehme ich geradevor?
  2. Was beobachte ich objektiv?
  3. Was habe ich selbst zu der Situation beigetragen, die ich gerade bewerte?

Als Beispiel für die Anwendung stelle ich mir die im Teaser beschriebene Situation im Supermarkt vor. Wie könnte die Frau bzw. eine beliebige Person an ihrer Stelle mit Hilfe der drei Fragen denken?

  1. Ich sehe den jungen Mann als Regelbrecher. Er verhält sich unverantwortlich gegenüber meiner Person, die sich an Regeln hält. Regelbrecher sind schädlich. >> Überbewertung der eigenen /Abwertung der anderen Person! Konsequenz: verbal belehren
  2. Der hat seine Maske unterhalb der Nasenwurzel. Das unterscheidet sich von den anderen Maskenträgern. >> Neutrale Betrachtung
  3. Ich habe mich und meine Bedürfnisse ohne Kenntnisse über den Grund dieses auffälligen Verhaltens über die Bedürfnisse dieses Mannes gestellt und damit seinen Zorn und Widerstand ausgelöst.

Da die meisten von uns bisher ein Leben lang in diesem egozentrischen Teufelskreis gefangen sind, fällt es zunächst schwer, aus dieser Konditionierung auszusteigen. Vor allem in akuten spannungsgeladenen Situationen. Da kläfft der innere Schweinehund mächtig. Üben Sie daher unmittelbar im Anschluss Ihres Ärgers und beantworten Sie dann diese drei Fragen. Notieren Sie sich am besten die Antworten und die Konsequenzen daraus bei einem zukünftigen gleichen Ereignis. Wie werden Sie anderes reagieren? Diese Antworten erzeugen neue Handlungsbilder in Ihrem Gehirn. Je öfter Sie eine Situation derart nachbereiten, umso häufiger werden Ihre für das Verhalten zuständige Neuronen neu verknüpft. Oder beobachten Sie sich, wenn Sie z.B. in einem Lokal sitzen oder einer Diskussion zuhören, welche Bewertungen Sie anderen Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Körpersprache oder Äußerungen zuschreiben. Wenden Sie die drei Fragen an. Auch diese „Trockenübungen“  führen Sie immer mehr zu sich selbst und heraus aus dem Teufelskreis.

„…wie ich!“ -  Der Projektion auf die Spur kommen

Wenn Sie mal wieder jemanden verurteilen, denken Sie an Ihre Neigung zur Projektion. Wenn Sie, wie die Frau in unserem Beispiel, denken „ Der ist ja unverschämt. Der hält sich nicht an die Regel“, ergänzen Sie den Satz mit „…wie ich selbst“. Also: „Der ist ja unverschämt…wie ich selbst“. Oder „ Die ist hochnäsig…wie ich“. u-ä.  Hier tut sich dann Ihre Schattenseite auf. Denn natürlich halten Sie sich nicht für unverschämt. Jedenfalls nicht bewusst.  Denken Sie an Situationen, in denen Sie selbst so oder ähnlich bewertet wurden. Oder in denen Sie sich so verhalten haben, das ein anderer es als unverschämt empfinden konnte. Fällt Ihnen nichts ein, haben Sie Geduld. Diese Eigenschaft haben Sie mit großer  Wahrscheinlichkeit  verdrängt. Und es ist unangenehm, sich das selbst zuzugestehen, was man bei anderen als negativ empfindet. Fragen Sie ggf. andere Menschen, ob denen eine Situation dazu einfällt. Auch wenn das schwer ist: fragen Sie solche Personen, welche gerade nicht zu Ihren „Lieblingsmenschen“ zählen. Hier versteckt sich a) Ihr Entwicklungsknoten, den es zu lösen gilt, und b) eine Möglichkeit, mit den anderen Menschen ohne Vorurteile zu kommunizieren. Wenn Sie erst einmal verstanden haben, dass Sie Ihre eigene –ganz normale- Unzulänglichkeit auf andere abladen, schaffen Sie sich eine Grundlage als ganze Persönlichkeit. Mit allen Stärken und Schwächen.

Nehmen Sie die Objekt-Brille ab

Der wohl momentan anerkannteste Hirnforscher Gerald Hüther sieht den Grund für Unzufriedenheit, Konflikte und Depressionen darin, dass wir selbst spätestens ab der Schulzeit als Objekte betrachtet werden. Wir müssen aufgrund geltender Leistungsparameter und Rollenzuschreibungen eher funktionieren als dass wir unsere einzigartigen Potenziale ausleben können. Das schmälert oder blockiert sogar unseren Selbstwert. Anstatt –erfolglos! -zu versuchen, diesen durch Abwertung anderer bzw. Aufwertung eigener Selbstgefühle zu erhöhen, sollten wir lieber uns selbst mit all unseren Stärken, Schwächen, Ressourcen, Fähigkeiten und Befindlichkeiten anerkennen lernen. Uns selbst und andere als lebende Wesen lieben und nicht als Objekte behandeln (lassen).

Neue Lebensperspektiven sind garantiert!

 

Wenn Sie mehr zu den zu den Möglichkeiten wissen möchten, mit denen Sie im Alltag aus Ihrem selbst gebauten Teufelskreis ausbrechen können, schreiben Sie mir hier.

Hier ist Veröffentlichung in PRAXIS KOMMUNIKATION  2/22 zum Download: Raus aus dem egozentrischen Teufelskreis 

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