Wie persönliches mit Unternehmens-Wachstum zusammenhängt.

1.November 20

ich bin, in Vorbereitung eines Coachings, gerade mal wieder auf Virginia Satirs Wachstumsmodell gestoßen. Das, was die grandiose amerikanische Familientherapeutin dem Denken und Handeln in unserer hierarchiebetonten Gesellschaft entgegensetzt, passt daher aus meiner auch 1:1 auf unsere Beziehungen, unser Denken und Handeln am Arbeitsplatz.

Die Crux mit dem Agilen Arbeiten als Dogma.

Das in den letzten Jahren propagierte agile Arbeiten funktioniert am besten mit flachen Hierarchien, dem Vorgesetzten als Moderator und einer hohen Partizipation aller Beteiligten. Manche Start-ups kommen ohne Hierarchien aus, andere Unternehmen versuchen es mit einem Hybrid-Modell: die Führungskraft wird dann als Steuermann eingesetzt, wenn bestimmte Situationen anders nicht zu bewältigenden sind. Die „Durchschlagskraft“ agilen Arbeitens hält sich gemäß aktuellen Umfragen in engen Grenzen. Und Hierarchien lassen sich auch nicht mal so eben auflösen. Und ich bin auch der Meinung, dass wir sie auch in der VUCA-Welt aufgrund unserer familiären wie auch beruflichen Sozialisierung noch eine Weile als Regulativ benötigen.

Wirkliches Wachstum beginnt im Kopf…und im Herzen!

Das Ziel sollte sein, das Mind-Set eines hierarchischen Modells zu reflektieren und es auf seine Veränderungsoptionen zu überprüfen. Es zu entrümpeln! Was ist in unseren unsicheren Zeiten mit volatilen Markt- und Unternehmensparametern noch sinnvoll an diesem Welt- und Menschenbild? Was kann durch ein Denken ersetzt werden, dass den ganzen Menschen sieht und nicht nur ein Rollenbild oder Funktionsträger? Da kommt nun das Wachstumsmodell von Satir ins Spiel.

Doch zunächst ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag:

Eine Mitarbeiterin in einer Marketingabteilung hatte den Marketingplan eines Produkt- Relaunches zu spät abgegeben und, aus Sicht des Abteilungsleiters, ohne alle relevanten Vertriebskanäle auszuschöpfen. Der Chef ist sauer und beschuldigt die Kollegin, nicht sauber zu arbeiten, nicht richtig zugehört zu haben und offensichtlich nicht an einer erfolgreichen Strategie interessiert zu sein. Außerdem wirke sie schon länger desinteressiert, es fehle ihr es anscheinend an Engagement. Die Mitarbeiterin hat tatsächlich in letzter Zeit öfter Arbeitsaufträge nicht erwartungsgemäß bearbeitet.

Das Satir-Modell als Bereicherung der hierarchischen Denkweise.

Anhand dieses Beispiels möchte ich Satirs Modell anwenden. Es beschreibt vier Sichtweisen eines Menschen, mit denen er die Welt wahrnimmt:

  1. Wie definiert er/sie eine Beziehung?
  2. Wie definiert er/sie eine Person?
  3. Wie beschreibt er/sie eine Situation?
  4. Welche Einstellung hat er/sie zu Veränderungen?

Im Folgenden fasse ich die Unterschiede zwischen hierarchischem und Wachstum-Modell im Business-Kontext zusammen. das kann nur allgemein und unvollständig sein. Dennoch hoffe ich, ein paar Impulse zum Nachdenken zu geben.

1. Definition einer Beziehung

Im hierarchischen Modell sind Menschen unterschiedlich wertvoll, je nachdem, wie sie ausgebildet sind, welche Funktion, wieviel Geld, Macht und Besitz sie haben. Status, Rollen und Funktionen bestimmen die Identitäten und den Grad der Anerkennung durch andere. Das erzeugt vordergründig Legitimation und Normalität, verursacht zum anderen aufgrund des vor allem gefühlten zwischenmenschlichen Gefälles Unzufriedenheit, Angst, Groll, und Misstrauen.

Der Wachstumsgedanke betrachtet alle Menschen als gleichwertig. Mir gefällt in diesem Zusammenhang die Definition von Gerald Hüther, alle Menschen seien „gleichwürdig“ besser. Die Identität ergibt sich unabhängig von Status, Rolle und Funktion einfach aus dem, was den Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen, Gedanken und Befindlichkeiten ausmacht. Diese werden sowohl beim anderen wie auch bei uns selbst akzeptiert und dürfen auch ausgedrückt werden. Unterschiede wie Gemeinsamkeiten werden als Ausdruck des Individuellen toleriert und als ggf. als Entwicklungsmöglichkeiten angesehen.

Im Beispiel:

Der Abteilungsleiter verzichtet auf Be- und Verurteilungen, die alle auf der Basis seines Menschenbildes bzw. Fremdbildes der Mitarbeiterin und seinen dementsprechenden Erfahrungen (= sich selbst erfüllende Prophezeiungen) seine Optionen einengen. Stattdessen würdigt er Person der Mitarbeiterin, indem er sie - wahrhaft neugierig und interessiert - nach ihren Befindlichkeiten, den Ursachen und ihren eigenen Ideen und Vorstellungen befragt. Gleichzeitig nimmt er seine eigenen Gedanken, Gefühle (z.B. bestimmte Antreiber) wahr und drückt sie und seine Wünsche bzw. berechtigten Forderungen konkret aus. So entsteht eine Basis für gleichwürdigen Austausch.

Reflexionsfragen dazu: Was stört mich gerade an der Situation, der Person, der Aussage? Was denke ich über mich und die anderen? Und ist das wirklich wahr? Was sind meine eigenen Anteile, Spekulationen, Vermutungen und wie kann ich sie überprüfen?

2. Definition einer Person

Das vorherrschende hierarchische Modell besagt, dass die Menschen sich konform verhalten sollen. Familie, Gesellschaft und damit auch die Unternehmenskultur geben die Werte vor, die darüber bestimmen, wie Personen zu denken, zu fühlen und zu handeln haben. Wer gegen die Normen lebt, wird weniger wahrgenommen bzw. geachtet als diejenigen mit dem „Mainstream-Mindset“. Daraus resultiert u.a., dass eigene Gefühle, unterscheidende Gedanken und Zweifel an Gewohntem meistens unterdrückt werden.

Im Wachstumsmodell gehen wir davon aus, dass jeder Mensch einzigartig ist. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind Kraft- und Ideenquellen für alle anderen. Das bedeutet auch, dass es idealerweise Freude macht, fremd und konträr erscheinende Perspektiven und Ansichten von der Welt zu entdecken und mit diesen Personen zu kooperieren.

Im Beispiel:

Mal davon abgesehen, dass weder das elektrische Licht noch das Auto erfunden worden wäre, wenn das hierarchische Modell die Erfinder beeinflusst hätte, behindert das hierarchische Modell aktuell neue effizientere Arbeitsweisen. Anstatt Prozesse kleinteilig zu kontrollieren, hilft es vielen Unternehmen, Mitarbeitende zu inspirieren, neue Wege in kleinen Schritten zu gehen, diese eigenverantwortlich nachzuhalten und zu modifizieren. Vielleicht hätten konkrete Aufgaben- und Kompetenzbeschreibungen und -zuteilungen der Mitarbeiterin und damit dem Ergebnis geholfen. Selbstorganisierte agile Feedbackrunden (z.B. Dailies mit Kanban-Charakter) hätten ggf. auch den Chef einbezogen und so alle Beteiligten über den Stand der Arbeitsabläufe, mögliche Probleme und Unterstützungsbedarf der Kollegin regelmäßig informiert.

Reflexionsfragen dazu: Sind meine Vorstellungen von den Menschen, Arbeitsweisen, Gegebenheiten Ergebnissen und Zielen allgemeingültig? Welche anderen Möglichkeiten gibt es? Wie offen bin ich für Alternativen, anderen Ideen? Was hindert mich daran, andere Denk- und Handlungsweisen zu akzeptieren? Was kann ich möglicherweise von anderen Vorgehensweisen, Perspektiven und Prioritäten lernen?

3. Definition einer Situation

Für Menschen mit einem hierarchischen Denkmodell verlaufen Ereignisse linear: eine Ursache hat eine Wirkung. In diesem Modell ist wird es akzeptiert, dass eine dominante Person sich besser auskennt, den Weg weist und ihn meistens vorgibt. Oft gibt es oft nur einen Weg, die anderen Optionen werden weder gleichberechtigt in Betracht gezogen noch wirksam eingefordert. Dabei werden abweichende Ansichten geleugnet, auch aus Angst, als Person, Kollege*in nicht wertgeschätzt zu werden.

Das Wachstumsmodell besagt, dass es immer „mehrere Wege nach Rom“ gibt und dass Kriterien für eine Lösung vielfältig und individuell unterschiedlich sein können. Zusammenhänge werden konkret beleuchtet, Bisheriges hinterfragt und Neues ausprobiert. Ein „Das haben wir immer so gemacht“ wird nicht automatisch akzeptiert. Feedbackschleifen gehören zum Alltag, Prozesse werden so immer wieder auf den Prüfstand gestellt und optimiert. Was bisher gelungen ist, wird gewürdigt und ggf. modifiziert und neu kombiniert.

Im Beispiel:

Der Chef sieht, dass seine (Vor) Annahmen nicht die einzig möglichen sind. Er öffnet sich den Vorstellungen der Mitarbeiterin und erforscht gemeinsam mit ihr Alternativen. Das offensichtlich wirksame Ursachen-Wirkungs- Paradigma ‚Hört nicht zu – liefert nicht das erwartete Ergebnis‘ wird aufgebrochen und im Dialog überprüft. Mitarbeitende erhalten die Chance, eigene Ideen, Arbeitsweisen und Vorschläge ohne Befürchtungen einer Geringschätzung einzubringen. So lernt jeder vom anderen. Wachstum nicht nur der beteiligten Personen, sondern auch des Teams, des Unternehmens ist möglich. Vielleicht hätte der Leiter so erfahren, dass bisherige Marketingkanäle zu kostspielig waren oder nicht für die relevanten Zielgruppen passen.

Reflexionsfragen dazu: Welche Alternativen zu meinen Ursache-Wirkungs-Fantasien gibt es? Würde ein anderer Mensch das genauso sehen? Wenn ich die Mitarbeiterin wäre, was würde ich zu Thema/zur Situation denken? Ist meine Ansicht von den Umständen wirklich wahr? Zu 100%? Was würde ich verlieren, wenn ich mich anderen Denkweisen öffne? Was würde ich gewinnen?

4. Einstellung zu Veränderungen

Personen mit hierarchischem Denken benötigen ein hohes Sicherheitsgefühl. Das verschafft ihnen das Festhalten am Stauts Quo. Abweichungen von regulären oder impliziten Regeln, Veränderungen von Abläufen, Vorgehensweisen und eingespielten Kooperationen provoziert Ängste und Widerstand. Vertrautes wird oft auch dann nicht hinterfragt oder aufgegeben, selbst wenn eine Veränderung Vorteile bringen würde bzw. das bisherige Schmerzen verursacht. Neues wird spontan in Richtig und Falsch klassifiziert und entsprechend umgesetzt oder eben nicht.

Das Wachstumsmodell beherrscht unsere Kindheit – und wird dann „vergessen“. Kinder haben Spaß daran, neues zu entdecken. Misserfolge erkennen sie auf natürliche Weise als ‚unbrauchbar‘ für das Vorgehen, sie haken sie ab und ersetzen sie durch neue Versuche. ‚Fehler‘ gehören nicht in ihr wesenskonformes Vokabular. Sie sehen Hindernisse als Chance für neues, für Lernen, Ausprobieren und Entwickeln. Und sie haben Spaß daran. Erwachsene können sich diese kindlichen Einstellungen und Erlebnisvarianten auch im Business zunutze machen, um sich selbst, das Team, Produkte, Dienstleistungen und damit das Unternehmen zu entwickeln.

Im Beispiel:

Das vom Abteilungsleiter vermutete Desinteresse kann auch ein Symptom für die Infragestellung bisheriger Vorgaben, Marketingpläne zu erstellen sein oder generell an einer Kultur der „hierarchischen Dominanz“ geschuldet sein. Einmal eingefahrene Wege etablieren sich schnell als „Heilige Kühe“. Deren Schlachtung ist existenzgefährdend oder wird zumindest so empfunden. Fehlendes Engagement der Beteiligten sollte der Chef hinterfragen und auf Verbesserungspotenziale hin untersuchen.

Reflexionsfragen dazu: Was ist die Absicht hinter dem Verhalten? Welche Widerstände werden nicht ausgesprochen? Wie muss sich die Kultur des Miteinanders ändern, um offen dazu etwas zu erfahren? Was würde ich lernen, wenn ich statt Absichten zu unterstellen, danach frage? Was könnte ich von meinen Mitmenschen erfahren, wenn ich mich von meinen eigenen Annahmen und Vorurteilen verabschiede? Was steckt hinter den Widerständen an ungenutzten Möglichkeiten für mich und alle Beteiligten?

Abenteuerspielplatz vs. Gefängnis

Sicher hat der aufmerksam Lesende bereits gemerkt, dass sich alle vier Dimensionen der Wirklichkeitswahrnehmung und -verarbeitung überschneiden und in wohltuender Konsequenz ergänzen. es geht um eine ganzheitlich-menschliche Haltung: indem ich mich mit meinen unendlich vielen persönlichen Ressourcen und Möglichkeiten bereichere, schaffe ich auch für meine Mitmenschen einen Abenteuer-Spielplatz statt ein Gefängnis. Das eigene Wachstum und dass des Unternehmens kann sich aus meiner Sicht nicht nur ergänzen sondern bedingt sich. Und das ist selten in einem Gefängnis möglich. 

 

Sind Sie neugierig, was dieses Modell für Sie, Ihren Job und Ihr Unternehmen bedeutet? MeldenSie sich gerne H I E R .

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