Geschichten im Business

29. September 2021

Wir erzählen uns ständig Geschichten

Ich habe mal wieder den Newsletter ans Monatsende geschoben. Viele Termine und deren Vorbereitung haben mich gebunden. Dann war das Wetter zu schön, um vor dem PC zu sitzen. Ich bin geradelt, in den Bergen gewandert, habe mich an den wunderschönen Chiemsee gelegt und ausgiebig im Wasser geplanscht. Dabei viel Literatur genossen, u.a. zum Thema des Wesenskerns, den die meisten Menschen zu wenig ausleben. Und da sitze ich nun und erzähle mir selbst die Geschichte meines aktuellen Lebens in seinen verschiedenen Facetten:

Die erste Geschichte:
Ich hatte mir vorgenommen, jeweils zum Monatsanfang einen Newsletter zu schreiben. Schließlich merken sich die Empfänger dieses Zeitfenster, gewöhnen sich daran. So dachte ich und denke ich noch immer. Ich selbst freue mich auch auf bestimmte Newsletter und bin schon gespannt auf den aktuellen, der- wie in einem Fall- alle vierzehn Tage am Freitag erscheint. Diese Verlässlichkeit erzeugt Routine und Vertrauen. Ich räume mir die Zeit ein für das Lesen und integriere die Impulse meist sofort in meine Gedankenwelt und Konzepte. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich, dass mich die Inhalte auch wirklich interessieren und  emotional treffen, wertvoll für mich sind. Einerseits entsteht so eine imaginäre positive Beziehung zu den Autoren. Der Newsletter bildet ein Band. Gleichzeitig baue ich eine Erwartungshaltung auf, die dann natürlich auch enttäuscht werden kann. Dann, wenn der Newsletter ohne Info mal ausbleibt oder unregelmäßig im Postfach auftaucht. Ich möchte mit meinen Newslettern an meine Kunden etwas ähnliches erreichen.

Die zweite Geschichte:

Ich genieße gerne meine Lebenszeit. Schiebe gerne mal eine Aufgabe zugunsten einer Freizeit auf. Dieser Tapetenwechsel klärt während des Aufenthalts in der Natur meinen Kopf. Ich spüre, wie meine Gedanken sich neu sortieren. Neue Ideen zu anstehenden Aufgaben fliegen mir wie durch Zauberhand zu. Oft fällt mir dann etwas ein, woran ich am Arbeitsplatz lange gegrübelt hatte. Zum Genuss gehört auch, einen bereits mit Terminen und anderen Vorhaben vollgepackten Tag nicht durch eine Selbstverpflichtung noch stressiger werden zu lassen. So bleibt zwar der Newsletter auf der Zeitstrecke. Ich selbst kann mich allerdings besser einem Thema in Ruhe und mit einer größeren Leidenschaft widmen. Das nützt dann auch den Lesern, so ist meine Hoffnung. Mein Glaubenssatz „Sei perfekt: der Monats-Newsletter gehört an den Anfang eines Monats!“ ist ein für meine Zwecke eher hinderlicher.

Menschen denken in Bildern -aus Bildern werden Geschichten

Zwei Geschichten, zwei unterschiedliche Wirkungen. Das sind Geschichten von der Art, wie wir sie uns täglich oft erzählen. Wir Menschen denken in Bildern. Worte sind nur die Repräsentationen unserer Gedankenbilder. Damit wir uns über unsere inneren (Kunst-) Welten austauschen können. Um unsere Karten von unserer Bilderlandschaft mit anderen abzugleichen. Und das geschieht ebenfalls jeden Tag. Auch im Job. Der Unterschied besteht meistens nur darin, dass es dann vom Gegenüber, dem Kollegen, dem Chef heißt: Kommen Sie mal auf den Punkt. Oder man wird aufgefordert: Erzählen Sie keine Geschichten. Die systemrelevanten Maxime heißen: Effizienz statt Eloquenz, Fakten statt Emotionen, Konkretes statt Abstraktes, Zahlen statt Menschliches, Wertschöpfung statt Wertschätzung. Die Abläufe, Strukturen, Führungs-Mindsets der Unternehmen sind auf das betriebswirtschaftliche Grundkonzept ausgerichtet, in möglichst kurzer Zeit mit möglichst geringem Aufwand den möglichst größten Erfolg zu schaffen.

Dabei wird nach meiner Erfahrung allerdings vergessen, dass der Mensch dabei die entscheidende Rolle spielt. Er ist eben nicht nur ein Produktionsfaktor, sondern bringt sich außer mit seiner für seine Stelle spezifischen Arbeitskrafs, Kompetenz und seinem Fähigkeitsprofil auch mit seiner Lebenserfahrung und Intuition sowie seinen Werten ein. Die wiederum bestimmen seine Gedanken, Gefühle und Befindlichkeiten. Deshalb ist es nicht nur wenig wertschätzend, diese „menschliche Seite“ der Mitarbeitenden zu ignorieren, sondern auch wertschöpfungsmindernd. Das belegen zahlreiche Untersuchungen und Studien.

Geschichten als Klärung im Business-Alltag nutzen

Was hat das nun alles mit den eingangs erzählten Geschichten zu tun?

Geschichten-erzählen hat seit vielen Jahren unter dem Schlagwort „Storytelling“ die Unternehmen erreicht. Es wird den Mitarbeitenden ein Forum ermöglicht, in dem sie ihre Geschichten zum erlebten Arbeitsalltag zu Abläufen, internen und externen Schnittstellen, Kollegen, Führungen und Kunden vorstellen können. Wünsche, Ideen, Befindlichkeiten, Veränderungen können so erfolgreicher dargestellt und hinterfragt werden.

Denkbar sind z.B. Storytelling-Settings, in denen die Teilnehmer

  • über ihre Erfahrungen mit Veränderungsprojekten
  • über Ideen zu neuen Produkten und Relaunches
  • ihre Erwartungen an Zusammenarbeit und Führung
  • Schnittstellenkommunikation
  • agile Arbeitsweisen

sprechen bzw. genauer: erzählen können.

Diese Erzählrunden können z.B. einer Vorher/Nachher, einer Pro/Kontra oder Meine /des anderen Perspektive -Struktur folgen.

Geschichten in Veränderungsprozessen- oder am besten vorher!

Bei Veränderungen ist folgender Ablauf denkbar:

  • 1. Runde
    Jeder erzählt über seine Erfahrungen am Arbeitsplatz vor der Veränderung. Dabei wird darauf geachtet, dass Beispiele für die geliebten Momente und Faktoren genannt und auch die Dinge erzählt werden, die nicht so gut liefen. Auch dafür sollte ein typisches Beispiel beleuchtet werden.
    Spielregel: keine Wünsche zu diesem Zeitpunkt! keine Meckereien! Nur Erlebtes und Geschehnisse erzählen!
    Zu beiden Aspekten macht ein Moderator oder Duo-Partner Notizen am Flipchart oder mit Post Its. an einer Wand. Auftrag kann sein:
    - Dinge, die gut waren und beibehalten sollten.
    - Dinge, die schlecht liefen und verändert werden sollten.
    - Was hat besonders gutgetan?
    - Was ging total gegen den Strich?
  • 2. Runde
    Was wünscht sich der Mitarbeitende für die Zukunft?
    Dazu wird eine Geschichte erzählt, wie es für ihn/sie am Arbeitsplatz künftig sein könnte.
    - Was träumt er dazu?
    - Was ändert sich, wenn seine Wünsche wahr werden, seine Bedürfnisse erfüllt sind?
    - Unter welchen Umständen sieht er mehr Sinn für sich in der Veränderung?

Vorteile des Geschichten-Erzählens

Mit dieser Pro/Contra-Struktur lassen sich Aspekte herausarbeiten, die der angestrebten Veränderung Impulse geben können. Der Vorteil gegenüber anderen Teamsitzungen, Brainstorming-Formaten und Umfragen:

  • Die teilnehmenden Mitarbeiter können ihre inneren Bilder ausbreiten.
  • Die Gefühlswelten werden reflektiert und von allen besser wahrgenommen.
  • Es werden konkrete Maßnahmen, Abläufe, Prozesse und Situationen benannt und plastisch dargestellt. Darauf kann konkreter reagiert werden.
  • Die Bereitschaft zum aktiven Mitgestalten der Teilnehmer*innen erhöht sich, da ihren emotionalen Erlebnissen Raum gegeben wird.

Geschichten verbinden

Wo immer Geschichten erzählt werden dürfen, denen Aufmerksamkeit geschenkt wird, verbinden sich Menschen auf der Beziehungsebene. Es „menschelt“! Das ist immens wichtig für die Zusammenarbeit, besonders für die hierarchieübergreifende. Das Vertrauen und das Verständnis für die Meinung des anderen, für dessen Wahrnehmungs- und Erlebniswelt steigt. Warum? Eine Geschichte beleuchtet die ganze Person, deren Werte, Bedürfnisse, Wünsche und Zweifel in den konkreten Situationen. Und nicht nur, wie üblich, einzelne Fakten, Zahlen, Beobachtungen und deren Beurteilungen.

Die leider viel zu früh verstorbene Vera Birkenbihl hat mit ihrem Insel-Modell eine Metapher geschaffen, die jeden Menschen als Bewohner einer eigenen Insel sieht. Mit all den vielfältigen Facetten, die auch jede tatsächliche Insel von einer anderen unterscheidet. Die einzige Möglichkeit, so der Hintergrund, die Insel des anderen zu im wahrsten Sinne „zu erreichen“ - eben zu ergründen! - besteht darin, sie Stück für Stück besser kennenzulernen. Das sind doch oft auch die Inhalte von Urlaubsgeschichten. Wir erzählen mit ihnen unsere persönlichen Erfahrungen, emotional gefärbt, voll von leidenschaftlich gemalten Erlebnisbildern. Wir tragen sie oft enthusiastisch vor. Dann sind wir mittendrin in unserer Geschichte. Wir laden damit andere ein, uns in unserer Begeisterung, und auch manchmal unserer Enttäuschung, zu folgen. An ihrem Gesichtsausdruck lässt sich ablesen, ob wir sie erreicht haben. Ob sie mitschwingen. Fakten allein kommen da weniger gut an, sind nicht spannend genug. Diesen Rapport können nicht nur mit Urlaubs-Geschichten von der Insel bewirken, sondern auch unsere Business-Stories. Storytelling eben!

Apropos:
Die Schlussfolgerungen zu meinen Newsletter-Geschichten lauten:

  • Ich möchte mein Glaubenssatz beibehalten: „Ich bin verlässlich“. Daher werde ich weiter Newsletter versenden und meine Kunden und Leser über meine Sicht der Dinge informieren.
  • Ich verabschiede mich von der selbst verordneten Verpflichtung, am Anfang jeden Monats einen Newsletter zu schreiben. Das entlastet mich. Der NL kommt, wenn ich neue Impulse erhalte und diese weitergeben möchte.
  • Diese Impulse erhalte ich meistens dann, wenn ich entspannt etwas anderes mache als über den Newsletter nachzudenken. Am meisten inspirieren mich schöne Orte und Momente in der Natur oder andere Menschen und Erlebnisse. Die Reihenfolge ist also Impuls -Newsletter und nicht umgekehrt. Das macht mehr Sinn!
  • Die Leser erhalten tolle Impulse mit frischem Elan. Von Herzen! Ohne Krampf! :-)

 

Wenn Sie mehr Infos zur Anwendung von Storytelling in Ihrem Unternehmen wissen möchten, schreiben Sie mir hier.

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