Wie unsere Lernkultur und neue Arbeitswelt zusammenhängen

26. August 2021

In einem Interview mit dem Schulgründer und Initiator für Freies Lernen, Riccardo Leppe, habe ich Anregungen erhalten, wie Neues Arbeiten ausgerichtet werden kann. Er nannte auf der Basis von eigenen Schülerbefragungen drei Voraussetzungen, mit denen Schüler zum engagierten und nachhaltigen Lernen bewegt werden können:

  1. Lernen muss Spaß machen
  2. Der Lehrstoff muss mit dem Alltag der Lernenden verbunden sein.
  3. Die Lernenden müssen das sichere Gefühl haben, dass sie den Lerninhalt später in ihrem Leben nutzen können.

Diese Forderungen entsprechen den Erkenntnissen moderner Neurowissenschaften bzw. der Lern- und Motivationspsychologie (siehe Literatur von Hüther, Spitzer, Krause, Storch, Kuhl etc.). Davon abgesehen, dass keine der drei Voraussetzungen in den meisten Regelschulen wirklich gegeben sind, fällt mir dazu im Kontext Business in einer VUCA-Welt folgendes ein:

  • Alle drei Wünsche bilden auch die Voraussetzungen ab, unter denen erfolgreiches Zusammenarbeiten in volatilen und instabilen Unternehmenswelten (VUCA) überhaupt erst möglich ist und die von der Generation Y eingefordert wird.
  • Indem wir an alter Lernorganisation und an Lernstrategien festhalten, welche sowohl die Lernphysiologie des Gehirns wie auch die Bedürfnisse der Schüler missachten, erhalten wir alles andere…nur nicht die Mitarbeiter mit den notwendigen Skills für die anstehenden Aufgaben.
  • Die Kluft zwischen Anspruch an flexible Mitarbeitende sowie agiler Arbeitsweisen und deren praktischer Verwirklichung in einer immer weniger berechenbaren (Arbeits-) Welt besteht fort.

Wie hängen nun die Forderungen der lernbereiten Schüler mit den Anforderungen an eine praktikable agile Arbeitsweise zusammen? Und was können Führungskräfte und Mitarbeitende tun, um die Kluft zu schließen? Dazu übertrage ich die Wünsche der Schüler auf die meiner Ansicht nach wichtigen Voraussetzungen agiler, d.h. zunehmend selbstverantwortlicher und partizipierender Zusammenarbeit.

  1. Arbeiten muss Spaß machen

Der alte Spruch, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, den ich aus meiner Lehrzeit noch kenne, hatte schon damals in seiner Semantik keine wirkliche Bedeutung mehr. Er diente mehr althergebrachten patriarchalischen Führungsleitsätzen und hat heute ausgedient. Jeder weiß, dass er nur dann wirklich gerne arbeitet, wenn er, jedenfalls die meiste Zeit, Freude an seiner Tätigkeit hat, die Menschen in seinem Arbeitsumfeld gerne sieht und sich in seiner Arbeit mit möglichst vielen seiner Talente einbringen kann. Was braucht jeder einzelne, um sich gut zu fühlen? Was möchte er/sie für das Unternehmen darstellen, damit sich beide Seiten wohl fühlen (ja, auch Unternehmen können sich wohlfühlen, respektive deren Werte sich erfüllen, nämlich als effiziente Gemeinschaften)? Was kann dazu beitragen, dass Menschen in Unternehmen angstfrei, also umgekehrt: mit einem Gefühl der Sicherheit zufrieden arbeiten können? Die Antworten auf diese und viele andere ähnliche Fragen tragen dazu bei, den Spaßfaktor und damit auch den Workflow zu erhöhen. Warum sollte es im Business anders sein als im Privatbereich der gleichen Menschen? Oder haben Sie ein selbstgewähltes Hobby, das Sie ungerne, mit wenig Engagement, innerem Stress und miesen Gefühlen ausüben? Aber das Leben ist doch keine Kirmes, schallt es mir da vielleicht entgegen. Warum eigentlich nicht? Und klar, es gelingt wohl selten, 365 Tage im Jahr an allem, was getan werden MUSS, Spaß zu haben. Probleme bieten dann eine Chance, sich weiterzuentwickeln. Auch wenn es erst einmal vorbei ist mit Lustig…. Es geht um die Grundeinstellung. Wer sich in seiner Arbeitsatmosphäre die meiste Zeit wohlfühlt, geht auch dann mit mehr Lust an Sachen heran, die schwierig sind. Dazu gibt es genügend Untersuchungen.

Und noch etwas Essentielles: zu mehr Spaß trägt auch eine tolerante und offene Fehlerkultur bei. Oft spüre ich die Unsicherheiten und Zurückhaltung in Teams, wenn es um Misserfolge, nicht erreichte Ziele, Unzulänglichkeiten in Prozessen etc. geht. Statt Möglichkeiten werden Schuldige gesucht. Das ist eine der stärksten Spaßbremsen. Kinder machen es uns vor. Jedenfalls bis wir ihnen die „Schuld“ zuschieben. Bis dahin haben Sie großes Interesse, Missgeschicke wieder zu beheben. Solange sie keine Angst vor Schuld, Abwertung und Liebesentzug haben müssen, behandeln sie Fehler als die Folge von unangemessenem Handeln und damit als Lernfeld. Ein Vorbild für alle Business-Teams.

  1. Die Aufgaben müssen zum Tätigkeitsfeld und der Job-Umgebung passen

Das soll nicht heißen, dass ein Servicetechniker nicht auch mal umfangreichere Schreibarbeiten erledigen kann. Oder ein Außendienstler einige Tage im Innendienst arbeitet. Nur wenn eine fürsorglich ausgerichtete Krankenschwester einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit für Dokumentationen oder ein kreativer Entwicklungs- Ingenieur auffallend viel Zeit für Controllingaufgaben aufwenden muss, dann darf sich keiner wundern, dass deren Engagement nicht nur für diese Sekundärtätigkeiten fehlt, sondern auch für deren eigentliche Aufgaben (diejenigen, die Spaß machen!) nachlässt. Es geht also darum, Mitarbeiter und Führungskräfte so einzusetzen, dass sie das, was sie am besten können und mit Engagement und Leidenschaft für den Arbeitsbereich im Sinne der Organisation tun wollen, auch einsetzen können. Das Aufgabenfeld muss so abgesteckt sein, dass die Talente, Ressourcen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden bestmöglich eingesetzt werden können.

Dazu gehört auch, dass Erwartungen an die eigenen Rollen optimal erfüllt werden können. Sonst entstehen innere Dissonanzen -übrigens bei allen Beteiligten-, die wieder auf die Motivations- und Spaßbremse treten.

Es sollten auch Möglichkeiten geschaffen werden, damit die Menschen ihre vielfältigen Kompetenzen und Ressourcen aus dem privaten Bereich in den beruflichen Kontext überführen können. Und dürfen! Warum soll die Krankenschwester nicht ihre künstlerischen Fähigkeiten zur Deko von Krankenzimmern nutzen? Oder der Ingenieur, der ein passionierter Hobby-Fotograf ist, wird zukünftig nach seinen gestalterischen Ideen für eine Präsentation eines Teamkollegen gefragt. Wir fühlen uns alle wohler, wenn wir nicht nur als Funktionsträger oder Rolleninhaber, sondern als ganzer Mensch wahrgenommen und geschätzt werden. Je mehr wir etwas in unsere Arbeit einbringen können, was uns im Freundes- und Familienkreis auszeichnet, was wir außerhalb unserer Arbeitsplatz-Blase besonders gut machen und was also oft emotional positiv besetzt ist, je mehr identifizieren wir uns auch mit unserem Aufgabenbereich. Wir sind dann vollständiger da. Und nicht nur als ein Job-Ausschnitt unserer Persönlichkeit Das ist natürlich nicht in jedem Kontext möglich. Gleichzeitig könnte hier jede Führungskraft mit den Mitarbeitenden einen neuen Rahmen für Job-Enrichment schaffen.

  1. Der Job muss Sinn machen – für den Menschen und das Unternehmen

Wie die Neurowissenschaften inzwischen entdeckt haben, verschalten sich unsere für Lernen, Verhalten, Denken und Handeln zuständigen Nervenzellen nur dann nachhaltig miteinander, wenn die Impulse -also das Denken und Handeln- erfolgreich für die Inhaber*innen der Zellen sind und sie diese Inhalte mit positiven Emotionen verbinden. Auch die Wertschätzung durch andere, das Gefühl in einem wohlwollenden Umfeld eigene Gedanken zu äußern und Ideen zu verwirklichen, erzeugen gute Gefühle. Wenn Arbeit also Spaß macht und sich Motive, Werte, Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden mit den Aufgaben, den Zielen und das Miteinander übereinstimmen und von Kollegen und Führungskräften gewürdigt werden, entsteht SINN! Wem dieses zu sehr nach einem Schlaraffenland des Hedonismus anmutet, sichte bitte die alljährlichen Studien-Ergebnisse des Gallup-Instituts oder erkundige sich bei den Krankenkassen nach dem Stellenwert der Diagnose Depression bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Was den Menschen fehlt, ist eine psychische Sicherheit. Damit sich hier etwas ändern kann, müssen Führungskräfte und Mitarbeitende darüber reden, wie sie dafür sorgen, dass

  • Aufgaben, Abläufe und Ziele konkret beschrieben sind, benötigte Ressourcen, Kompetenzen und Skills vorhanden oder besorgt bzw. entwickelt werden. Das gibt Sicherheit im KÖNNEN.
  • alle Rahmenbedingungen, Handlungs- und Entscheidungs-Spielräume, Budgets, Zuständigkeiten und Schnittstellen bekannt sind und von allen Beteiligten akzeptiert und unterstützt werden. Das gibt Sicherheit im DÜRFEN.
  • Aufgaben machbar und Ziele erreichbar sind und klar ist, welche Rolle der einzelne spielt, wie wichtig seine/ihre Funktionen und Fähigkeiten im Projekt, bei der Zielerreichung, im Team sind. Das gibt Sicherheit im WOLLEN.

Die Klärung dieser Faktoren und Komponenten der Zusammenarbeit ergibt Sinn. So entsteht ein hohes Maß an Zufriedenheit. Und Hand aufs Herz: je zufriedener wir alle mit unserem Leben sind, dass nun mal dominant im Job mit all seinen Bedeutungen für uns sattfindet, und je selbstwirksamer, unabhängiger wir uns dort erleben, je besser können wir uns konzentrieren, fokussieren und engagieren, je wertvoller ist das Ergebnis. Einfach, weil wir uns sicher, gebraucht und wertgeschätzt fühlen. Und weil es auch noch Spaß macht!

Das wünsche ich nicht nur den zukünftigen Schülern als Vorlage für ein erfolgreiches Arbeitsleben. Ich möchte auch, dass alle derzeit Berufstätigen in allen Hierarchien dies erleben. Vielleicht ist dieser Beitrag ein guter Impuls dazu. Viel Erfolg und Spaß auf diesem Weg.

Wer zu mehr der Klarheit im KÖNNEN, DÜRFEN und WOLLEN kommen möchte, klicke bitte zu dem enstprechenden Beitrag: Haltung kommt VOR Verhalten.  

 

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