7. Dezember 2020

30% der heute Beschäftigten sind über 50 Jahre alt. Und in Zukunft wird dieser Anteil noch steigen. Das erfordert eine neue Sichtweise auf diese Altersgruppe. Naturgemäß gelten diese Mitarbeiter einerseits als besonders erfahren, loyal und verlässlich. Sie tragen bewährtes Wissen um erfolgreiche Prozesse weiter. Gleichzeitig schreibt man Ihnen weniger Dynamik, Veränderungs-und Innovationsbereitschaft zu. Daher seien sie oft für die neuen agilen, d.h. weniger berechenbaren und fehleranfälligeren Arbeitsweisen weniger zugänglich. Und in der Tat ist da etwas dran. Die Frage ist nur: was genau? Und wie kann man diese für die meisten Unternehmen wertvolle 50plus-Generation für die VUKA-Welt öffnen?

Veränderung hat sehr oft Angst im Gepäck

Auch schon vor den Corona-induzierten Veränderungen in der Zusammenarbeit (Home Office, virtuelle Meetings etc.) waren in vielen Unternehmen agile Arbeitsweisen vorgesehen bzw. angedacht. Wie bei fast allen mir bekannten Change-Projekten gab und gibt es dazu immer Widerstände. Sei es seitens der Führungskräfte gegenüber veränderten Entscheidungslinien und Ablaufprozessen, sei es seitens der Mitarbeitenden hinsichtlich mehr Verantwortung und neuen Zuständigkeiten. Immer spielen Ängste eine Rolle, etwas Gewohntes zu verlieren bzw. Ungewohntes bewältigen zu können. Ganz normal.

Psychologische Sicherheit - ohne sie geht fast nichts wirklich gut!

Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Kollegen, Team, Firma, Familie) und das Entwickeln bzw. Verwirklichen der Individualität (eigene Kompetenzen, Fähigkeiten, Ideen) sind die wichtigsten psychologischen Grundbedürfnisse. Deren angemessene Berücksichtigung sorgt für die psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden. Das ist für die Kreativität, das Engagement und mithin für den Erfolg des Unternehmens erfolgsrelevant. Hier liegen auch die Gründe für gescheiterte Veränderungsprojekte hinsichtlich einer zeitgemäßen Unternehmenskultur. Nämlich dann, wenn sich die Beteiligten nicht in ihren Ängsten, Bedürfnissen und Wünschen wahrgenommen fühlen. Um Führungskräfte dieser Generation, ich nenne sie mal 50 Plus-Leader, und deren Befindlichkeiten zu verstehen und in die neue VUKA-Welt des agilen Arbeitens zu integrieren, sind deren verschiedene Lebenssysteme zu berücksichtigen.

Das hierarchische System

Die Befindlichkeiten der 50-Plus-Leader spielen eine besondere Rolle. Zum einen, weil sie zu einem großen Teil in einer anderen Firmenkultur berufs-sozialisiert wurden. Sprich: ihre Haltung ist sehr oft von dominant hierarchie-bestimmten Prozessen geprägt worden, das Rollenverständnis folgte bisher eher der eines Anweisers und Kontrollierenden. Und das wurde auch von der Mehrheit der Mitarbeitenden erwartet. Verantwortung wurde gerne nach „oben“ delegiert. Zum anderen fühlen sich diese Leader mit einer Führungsrolle gesellschaftlich aufgewertet. Das spielt in der 50 Plus-Generation eine große identitätsstiftende Rolle. Daher fällt es der Mehrheit dieser Führungskräfte bis heute schwer, erfolgsrelevante Aufgaben zu delegieren. Jetzt Teile ihrer Deutungs-und Entscheidungshoheit abzugeben hat für sie einen gefühlten Macht-, bzw. Bedeutungsverlust zur Folge. Das Gefühl, ausgegrenzt zu werden und nicht mehr in dieser gewohnten Rolle gebraucht zu werden, verletzt die beiden oben genannten Grundbedürfnisse.

Das Beziehungs-System

In der System-Theorie werden u.a. die impliziten Verflechtungen der Menschen bzw. ihrer Beziehungsmuster dargestellt. In systemischen Aufstellungen geben sich diese Muster deutlich zu erkennen. Sie wirken sozusagen als unausgesprochene Denk-und Handlungsanleitungen im Verborgenen und bilden die Grundlage für unser psychisches Wohlbefinden und damit auch für unsere Gesundheit. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass wir unzufrieden, frustriert und sogar krank werden, wenn diese impliziten Erwartungen und Bedürfnisse von unserem Umfeld nicht berücksichtigt werden. Wir sind dann weniger zugänglich und verhalten uns weniger kooperativ. Für unser Thema wichtige systemische Grundsätze lauten „ Alt hat Vorrang vor Jung“, „ Dienstälteste haben Vorrang vor Dienstjüngeren“, „Vorherige Arbeit hat Vorrang vor der aktuellen“. Das ist die innere Weisheit lebender Systeme. Und es hat deshalb nichts mit tatsächlichen Fakten, Recht, Ergebnissen und Erfolgen bzw. Misserfolgen der Personen zu tun. Nichts mit der „Wahrheit“. Es geht –und das ist immer wieder erlebbare Wirklichkeit- um die Wertschätzung dieser Lebens-und Arbeitswelten seitens des Unternehmens. Um das, was tatsächlich wirkt!

Das Wertesystem

Die Werte und damit die Bedürfnisse der jungen Mitarbeiter der Generationen Y und Z sind meist deutlich andere, als diejenigen der 50 Plus- Leader. Es liegt oft ein ganzes Generationsalter zwischen ihnen. Dieser Altersunterschied hat zur Folge, dass die ältere Führungskraft, zumal durch ihre gehobene Position legitimiert, dazu neigt, die Jungen wie die eigenen meist gleichaltrigen Kinder zu behandeln. Gleichzeitig projizieren die jungen Mitarbeiter die Elternrolle auf ihre älteren Vorgesetzten. Das birgt reichlich Konfliktpotenzial.
Junge Mitarbeiter respektieren nicht mehr die Führungsrolle qua funktionem. Führen per Anweisung wird oft nicht klappen. Das ist nicht als Abwehr der Person einer älteren Führungskraft gemeint, sondern eine normale Reaktion auf unterschiedliche Führungswerte. Und eben: Projektion. Jüngere Mitarbeiter benötigen einerseits genügend Freiraum und Mitsprache, um ihre in ihrer Erziehung erlebte Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig brauchen und erwarten sie Sicherheit in Form klarer Arbeitsrahmen und Spielregeln und eine stets gesprächsbereite, empathische und sinngebende Führungskraft. Die Generationen Y und Z erhalten ihren Selbstwert nicht in erster Linie wie die Babyboomer der 50er und 60er Jahre durch Boni, Dienstwagen, Titel und eine teure Büroeinrichtung sondern durch Vertrauen, individueller Förderung, Anerkennung ihrer Person und Fähigkeiten und flexiblere Arbeitszeiten.

New Work mit 50 Plus

Aufgrund dieser Aspekte möchte ich hier einige sich daraus ergebende Empfehlungen geben, wie Unternehmen 50 Plus-Leader für die geforderten agilen Arbeitsweise bzw. dem dazu notwendigen Führungsverhalten gewinnen können. Gleichzeitig soll diese Auflistung dieser Gruppe Impulse zur Selbstreflexion geben. Es geht, grob gesagt, darum, einen eher direktiven in einen rezeptiven bzw. übertragenden Denk-und Führungsstil umzuwandeln:

  • Die längere Erfahrung dieser Führungspersonen führt meistens zu einer höheren Resilienz, einer besseren Intuition (die den Jüngeren naturgemäß noch fehlt) und zu umfangreicheren Netzwerken. Das bedeutet ein Plus im Krisenmanagement und in der Entscheidungsfindung, meist auch ein gelasseneren Umgang in Konflikten.
    • Inwiefern kann die Führungskraft diese Fähigkeiten als Mentor und Coach seiner Mitarbeiter:innen zur Verfügung stellen, quasi als Angebots-und Anstoßgeber und nur im Ausnahmefall als Beauftragender?
    • Werden diese Qualitäten konkret und angemessen vom Management gewürdigt?
    • Inwiefern können die vielfältigen internen und externen Kontakte den neuen Anforderungen nutzen?
  • Die Werteorientierung von 50 Plus-Leadern und den jüngeren Mitarbeitern ist jeweils der Handlungs-und Reaktionstreiber der betreffenden Personen. Werte werden früh in der Kindheit vermittelt und bestimmen, was die einzelnen Menschen als richtig oder falsch empfinden. Das hat nichts mit Logik zu tun, sondern mit emotionalen Bewertungen. Daher ist es für die erfahrene Führungskraft wichtig, diese Werte in Einzelgesprächen zu klären und im Team offen zu besprechen:
    • Wo sind Unterschiede?
    • Wie gehen wir damit zukünftig um, wenn agilere Arbeitsweisen Werte verletzen?
    • Welche Werte und Bedürfnisse sind gleich? Wie nutzen wir diese in bestimmten Situationen, z.B. bei Konflikten?

Daraus erwachsen Spielregeln und vielleicht sogar ein Notfallkoffer für den Fall, dass Werte verletzt oder Rahmen für Ermessensspielräume übertreten werden. Diese Wertebasis sollte regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden. Dazu können z.B. jeweils 10 Minuten bei einem Teammeeting oder Mitarbeitergespräch benutzt werden.

  • Vorurteile und Stereotypen der einen Altersgruppe gegenüber der anderen haben großes Missverständnis- und Konfliktpotenzial. Die Älteren bezeichnen die Jüngeren gerne als ungeduldig, vorlaut und lustorientiert bzw. undiszipliniert. Jüngere sehen die Alten dem gegenüber eher als unflexibel, rechthaberisch, regelhaft und intolerant. Ältere Führungskräfte projizieren oft die Erfahrungen mit den eigenen Kindern auf die Mitarbeiter, die Jungen die Erfahrungen mit ihren Eltern auf die in vergleichbarer Positionen agierenden älteren Führungskräfte.
    • Hier sollten 50 Plus-Leader bei Widerständen reflektieren, inwiefern die eigenen Vorurteile und Projektionsmuster gerade wirksam sind. Und diese mit den Mitarbeiter:innen klären. Dazu kann ebenfalls ein wöchentlicher Check dienen.
  • Was benötigt dem 50 Plus-Leader noch zur Umsetzung agiler Arbeitsweisen? Dazu habe ich bereits in einem  anderen Blogbeitrag die drei Voraussetzungen zur erfolgreichen Umsetzung von New Work-Elementen genannt: in welchem Ausmaß können, wollen und dürfen die älteren Führungskräfte die Methoden und den dazu notwendigen Führungsstil anwenden? Oft fehlt es nicht an der Bereitschaft, Methoden zu lernen, wenn der Sinn bzw. der eigene Nutzen dazu klar dargelegt wird. Und ebenso oft fehlt es an der ehrlichen und transparenten Bereitschaft und Rückendeckung der Hierarchie. Wenn Führungskräfte bisher eher als Fahrradfahrer (also als Befehlsempfänger nach oben und Kontrolleur nach unten) gewirkt haben und dies als dominante Handelsmaxime gegolten hat, braucht es ein absolut authentisches GO seitens der Geschäftsführung.
    • Stimmt also die notwendige Kultur? Was bedeutet New Work für die einzelnen Ebenen und Bereiche? Wie soll es gelebt werden?
    • Darf eine ältere Führungskraft bei der Umsetzung der Führung 4.0 auch Fehler machen? Was geschieht dann?
    • Welche innere Haltung ist dazu notwendig? Wie wird sie kommuniziert?

Der oben erwähnte Notfallkoffer muss auch mit der Hierarchie gepackt werden. Jeder Mensch, so auch eine Führungskraft, bedarf von Kindheitsbeinen an einer großen Sicherheit, um souverän neue Wege zu gehen, die auch Risiken bergen. Das gilt ganz besonders für 50Plus-Leader, da sie überwiegend in einer direktiven Kultur „groß geworden“ ist.

Haltung kommt vor Verhalten

Das sind ein paar Impulse für eine Veränderungskultur, in der ältere Führungskräfte in ihrer bisherigen Führungsrolle gewürdigt und gleichzeitig von ihr entlastet werden. Erst dann können New-Work-Methoden erfolgreich gelernt und in kleinen Schritten effizient umgesetzt werden. Es braucht Mut, Selbstachtung und Geduld sowie Empathie und Wertschätzung als wesentliches Kultur-und Kommunikationsmerkmale dazu. Und die ständige Bereitschaft, sich zu hinterfragen. Und da nicht alle Führungskräfte dieser Altersgruppe gleich „ticken“ und daher über einen Kamm geschert werden können - sich einige in diesen Charaktersierungen sich vielleicht gar nicht wiederfinden - gibt es bestimmt auch Mentoren unter ihnen, die ihre Kollegen bei der Transformation unterstützen. Das wäre schon einmal ein guter Anfang eines New Work.

 

Wenn Sie mehr zum Thema 50 Plus-Leader wissen möchten, schreiben Sie mir hier.

Zum Seitenanfang