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Der Abschied vom Toaster

3. Oktober 2020

 Was ist der Unterschied zwischen einem Toaster und einem Mitarbeiter? „Blöde Frage!“ werden Sie jetzt vielleicht denken“ und “Diskriminierend!“ sagen. Bitte warten Sie ab: beim Toaster stecken wir das Toastgut in die Vorrichtung und drücken einen Hebel. Dann ist das Ergebnis nach Ablauf der eingestellten Zeitspanne sicht-und (m)essbar. Niemand , der als gesund gilt, würde auf die Idee kommen, den Toaster darum zu bitten, selbstständig zu arbeiten. Er ist nach der Systemlehre ein sogenanntes triviales System. Input bestimmt Output. Umgekehrt stellt ein Mitarbeitender ein nicht-triviales System dar. Ihn/sie kann man durchaus bitten - oder man kann mit ihm/ihr vereinbaren - ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Leider werden Mitarbeitende nur allzu oft in der heutigen Unternehmensrealität wie Toaster behandelt. Wie ein triviales System, das auf Knopfdruck Ergebnisse liefert. Die Schritte zum Ziel sind meist vorprogrammiert und ein Kontrolllämpchen leuchtet dann auf, wenn der Weg und die Mittel zum Ziel nicht dem Geschmack des „Benutzers“ (=Führungskraft) oder/und der Gebrauchsanleitung (= herkömmliche Prozesse) entsprechen.

Führen benötigt Gefolgschaft.

Und das meint genau das! Es meint nicht Folgsamkeit. Und das wird oft in unserer vorwiegend praktizierten hierarchie-bestimmten Führungskultur vergessen. Das liegt vor allem daran, dass sich Mitarbeitende sehr oft aus verschiedenen individuellen Motiven folgsam verhalten, ohne von dieser als Zustimmung verstandenen Verhaltensweise überzeugt zu sein. Dann ergibt dies einen bekannten Regelkreis, der auch oft ein Teufelskreis sein kann : der Unmut wird zwar „im Idealfall“ offen geäußert, oft wird er geschluckt, Widerstände werden von den Hierarchien nicht wirklich ernst genommen, vielleicht sogar als Marotte betrachtet oder auch als wichtiges Ventil rationalisiert („ Die beruhigen sich schon wieder“). Irgendwann stumpfen alle Beteiligten ab, viele Entscheidungen werden abgenickt und die Frage „Sind Sie einverstanden“ –wenn sie denn gestellt wird- als Pseudo-Zustimmungs-Ritual eingesetzt. So entsteht eine Kultur, die auf der Mitarbeiter-Seite zu einem Dienst nach Vorschrift führt, was die Gallup-Studien zur Arbeitszufriedenheit jedes Jahr wieder aufs Neue bestätigen. Auf der Seite der Führungskräfte herrscht ein Klima der Selbstzufriedenheit: „ Wir haben das doch trotz aller Unkenrufe immer wieder geschafft!“. Verschiedene Ängste um den Arbeitsfrieden, Anerkennung, Karrierechancen und letztendlich den Arbeitsplatz tragen dazu bei, dass diese Kultur zwischen Führenden und Geführten so erhalten bleibt.

Das Märchen von der Führung

Man erzählt sich unter dem Mantel der vermeintlich ausreichenden Effizienz dieses Systems gegenseitig Märchen von Loyalität und Folgsamkeit, Empathie, Gönnertum, Entscheidungskompetenz, Umsetzungsstärke und Durchsetzungskraft. Und weil diese positiv besetzten Charakteristika von der Firmenkultur belohnt werden, reduzieren sich die Ängste der betroffenen Personen. Die Zusammenarbeitswelt erscheint in Ordnung. Deshalb muss man ja nichts verändern. Beide Seiten brauchen diese Märchen. Denn sie sichern das System. Bis es immer häufiger hakt und immer mehr Energie benötigt, diese Rollen in der Story von der reibungslosen Teamarbeit aufrecht zu erhalten. Um in der Märchenwelt zu bleiben: „Des Kaisers neue Kleider“ lassen grüßen.

Es gehören immer mindestens zwei dazu

Klatschen Sie mal in die Hände und beantworten Sie dann die Frage, wie sich die rechte Hand anhört. Geht nicht? Stimmt! Um ein Geräusch zu produzieren, brauchen Sie Ihre beiden Hände. Dieser Koan (= unlösbares Rätsel) aus dem Zen-Buddhismus können Sie auf jede Form der menschlichen Interaktion anwenden: eine Aktion des einen hat immer eine Reaktion des oder der anderen zur Folge. Da es sich bei Menschen nicht um Automaten handelt, lassen sich diese Folgen nicht einstellen wie bei unserem Toaster. Das ist der Grund, weshalb nur der Mitarbeitende geführt werden kann, der sich in einer bestimmten Situation für die bestimmte Aufgabe von der bestimmten   Führungspersönlichkeit führen lässt. Menschen stellen jeder für sich einzigartige lebende Systeme dar, mit all den individuellen Erfahrungen, Gefühlen, Emotionen, Stärken und Schwächen, Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten, Erwartungen, Bedürfnissen und Wünschen. Damit die vielschichtige Lebens-und Vorstellungswelt einer Führungskraft von derjenigen der Mitarbeitenden verstanden wird –beide also zusammen ein vernehmbares „Geräusch“ , sprich: Ergebnis abliefern – müssen sie sich gegenseitig über ihre Systeme informieren bzw. austauschen.

Austausch erfordert Mut – und einen Notfallkoffer.

Das geht am besten, wenn sie sich Fragen beantworten. Jeder sollte sich zunächst selbst vor einem Austausch diese Frage beantworten:

Die Führungskraft: „Warum sollte sich jemand von mir führen lassen?
Der/die Mitarbeitende: „ Warum sollte ich meiner Führungskraft folgen?

Die Antworten auf beide Fragen erfordern Mut. Einmal zur Selbsterkenntnis. Das muss jeder für sich wollen. Dann auch Mut, idealerweise auch darüber zu sprechen. Auch das muss jeder wirklich als sinnvoll erleben. Der Lerneffekt ist dann enorm. Und erst Recht der Gewinn für die künftige Beziehung. Das ist ungewohnt und führt aus den jeweiligen Komfortzonen des tradierten Miteinanders heraus. Natürlich müssen deswegen Spielregeln im Umgang miteinander im Vorfeld des Austausches geklärt und vereinbart werden.

Dann sollten im Gespräch zwischen Mitarbeitenden und deren Führungspersonen folgende Fragen beantwortet werden:

- Welche Erwartungen an Führung habe ich als Mitarbeitender?
- Welche Erwartungen habe ich als Führungskraft?
- Wie gehen wir damit um, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden? Wie kommunizieren wir dann wie schnell auf welchem Wege?
- Welche Konsequenzen sind für uns tragbar? Welche unterschiedlichen Auffassungen gibt es seitens der Führungskraft und des Mitarbeitenden dazu?
  Wie kommen wir zu einem Konsens?
- Welche Entscheidungen bleiben bei der Führungskraft, welche übernimmt der Mitarbeiter?

Wenn alle Beteiligten diese Fragen zufriedenstellend beantworten, besitzen sie einen „ Notfallkoffer“ für den Fall von Unstimmigkeiten. Daran fehlt es meistens, wenn erst einmal „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist. Ich erlebe es immer wieder, dass dann im Vorfeld Rollenklarheit, Interventionsanlässe, -zeitpunkte und –umfänge, Zuständigkeiten Kompetenzen etc. nicht abgesprochen waren. Dann übernehmen schnell windige Rechtfertigungen und Schuldzuschreibungen die Bewältigungsarbeit. Die Folgen sind bekannt…! Es macht also Sinn für alle im Team samt Führungskraft, diese Klarheit zu schaffen und den Notfallkoffer am besten gemeinsam zu packen. Das wird auch aktuell angesichts der immer mehr erforderlichen agilen und iterativen Arbeitsweise immer bedeutsamer. Das gilt dann besonders, wenn Führungsrollen aufgaben- bzw. projektbezogen in agilen Teams wechseln können. Dieser transparente Austausch zum Rollenverständnis untereinander erhöht nicht nur die Arbeitszufriedenheit von allen, sondern auch das Ergebnis der Zusammenarbeit und damit die Wertschöpfung des Unternehmens.

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